Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos by Thomas Jeffrey

Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos by Thomas Jeffrey

Autor:Thomas, Jeffrey [Thomas, Jeffrey]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783865522009
Herausgeber: Festa Verlag
veröffentlicht: 2016-04-25T16:00:00+00:00


Hinter undurchsichtigem Glas

Für Wilum Hopfrog Pugmire

Sie fiel ...

... in einen schwarzen Quell der Leere, ein Wurmloch in andere Dimensionen. Sie stürzte in den Abgrund wie ein Engel, niedergestreckt von einem aus jener Unterwelt abgeschossenen Pfeil. Sauste hinab ... und wünschte sich in ihrem Entsetzen, endlich unten aufzuschlagen und Erlösung durch den Tod zu finden ... denn der Tod war es nicht, den sie fürchtete, sondern das Fallen ...

Judith riss die Augen auf, gerade als der Bus aus dem Tunnel im bewaldeten Berghang austrat. Das Innere des Busses wurde wieder von Sonnenlicht durchflutet. Sie war peinlich berührt, weil sie dachte, sie habe beim Erwachen aufgeschrien, doch der selige, ruhige Ausdruck derer um sie herum verriet ihr, dass sie sich irrte. Sie richtete sich in ihrem Sitz auf und lugte kurz zu der Passagierin neben ihr, einem kessen Teenager auf dem Weg nach Seattle, wie sie Judith einige Stunden zuvor erzählt hatte. Sie schlief den Schlaf der Gerechten, den Kopf gegen das Fenster gelehnt und ihr dichtes schwarzes Haar wie eine Decke über dem Gesicht.

Judith schmunzelte schwach und wandte den Blick von dem Mädchen ab, doch irgendetwas ließ sie erneut hinschauen. Der Haarschleier des Mädchens bedeckte ihr ganzes Gesicht außer Mund und Kinn, und Judith hatte die verrückte Idee, wenn sie die Haare beiseiteschöbe, wären die dabei enthüllten Augen ... grauenerregend. Unmenschlich. Obwohl sie wusste, dass das Mädchen freundliche nussbraune Augen hatte, verbargen sich in ihrer Vorstellung hinter jenen Vorhängen aus Haar zwei Augen von glühendem Rosa – so grell und leuchtend wie ein Sonnenuntergang –, die Judith heimlich durch die Strähnen anstarrten. In der Art und Weise, wie der Kopf des Mädchens geneigt war und ihr im Schlaf der Mund offen stand, wirkte es zudem so, als sei der Mund eine vertikale Öffnung in ihrem Kopf. Wie eine Vagina, dachte Judith ... mit Zähnen.

Treibgut des Träumens, sagte sie sich und wandte die Augen von dem Mädchen ab. Dennoch, ihre so unmittelbare Nähe beunruhigte Judith und nach ein paar Minuten klaubte sie diskret ihre Handtasche und ihre Zeitschrift zusammen und stahl sich zu einem anderen Sitz weiter hinten im Bus.

Judith stieg als einziger Fahrgast vor einer Kombination aus Tankstelle und Lebensmittelladen aus dem Bus, und aus deren heruntergekommenen Äußeren konnte Judith nicht schließen, ob es verwaist war oder noch immer Kundschaft hatte. Über die Jahre verblichene Buchstaben auf einem Schild verkündeten ihr und sonst niemandem: SESQUA DEPOT.

Aber sie war nicht allein. Als sie ihr Gepäck absetzte, um sich eine Zigarette aus der Handtasche zu kramen, bemerkte Judith, dass im Türrahmen, abgeschirmt von der Sonne, eine Gestalt auf der Ladenschwelle stand. Es war ein älterer Mann, der eine Sonnenbrille trug und Judith anscheinend durch die Gläser hindurch beobachtete.

»Tag«, sagte Judith höflich, verunsichert durch seine Gegenwart. Ein zu kühler Windstoß zerzauste ihr das kurze schwarze Haar und ein nervöses Lächeln durchzuckte einen ihrer Mundwinkel. »Ich glaub, ich sollte nicht rauchen, wenn ich einen weiten Weg vor mir habe, aber die wollten mich nicht rauchen lassen in diesem beschissenen Bus.«

Offensichtlich fiel dem Alten ihr britischer Akzent auf.



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